Schachfiguren - Stile und Formen
Im Raume Mitteleuropa haben sich seit Jahrhunderten landeseigene, bzw. regional Stilformen für Schachfiguren herausgebildet, zum Teil auch für Schachbretter! Diese traditionellen Figuren sind durch die überwältigende Verbreitung des Staunton-Satzes ins Abseits gedrängt worden - und sind demgemäss einerseits selten geworden, andererseits gerade deswegen besonders interessant zum Sammeln....
Altwiener Figuren
Wie die Altwiener- oder Kaffeehausfiguren entstanden sind, ist nicht genau zu sagen. Sicherlich haben sowohl die älteren Biedermeier-Sätze, wie auch der grosse Erfolg der Staunton-Figurn dazu beigetragen, dass um die Mitte des 19.Jahrhunderts diese Form der Figuren entstand und eine fixe Form fand, die dann bis etwa 1980 noch produziert wurde. Die Altwiener Figuren, da vorwiegend gedrechselt, waren relativ leicht zu erzeugen, und machten schnell Schule in Schachcafés und Vereinen im gesamten Habsburgerreich, in Süddeutschland, und angrenzenden Gebieten. Die typischen Eigenarten sind konzentrische Ringe oder Krägen in Erinnerung an die Körbchen von früher bei Dame und Königen, stark eingekehlte Türme, sowie massige Bauern mit Doppelringen um die Taille. Die Springer wurden nur bei den allerfeinsten Sätzen per Hand geschnitzt, ansonsten in der Regel an der Drehbank mit einigen Manövern geformt. Bei den Läufern wandelte sich die Feder in der Farbe der Gegenseite zu einer Kugel, Die Altwiener wurden natürlich in Wien, aber auch in Budapest und anderen Orten in der K.-u.k. Monarchie erzeugt, wohl auch in München, und vor allem in den Manufakturen von Borstendorf im Erzgebirge. Hier gab es auch Varianten in Bein, in dem neuen Material Galalith, und für den Geschenkmarkt in Elfenbein. Es gibt viele Abweichungen und Unterformen, je nach Herstellungsort - allerdings ist es heute fast unmöglich, bestimmte Sätze genau auf den Ort und die Zeit der Herstellung festzulegen. (1)
Barleycorn
Barleycorn ist der eingeführte Name für dies etwas instabilen Figuren, der König und Dame durch eine zentrale Trommel ausgezeichnet sind. Der Name stammt vom Gerstenkornmuster, das etwa auf dem unten gezeigten britischen SAtz vorkommt - aber es gibt auch die Seilemuster , und zahlreiche andere Abarten. Wie Nürnberger Musterblätter zeigen, wurden diese Sätze schon früh im 19.Jahrhundert auch dort gefertigt - denn das Rohmaterial Rinder- und Schafsknochen war ja reichlich vorhanden, und nicht allzu teuer. Solche Sätze wurden auch gelgentlich in Elfenbein gefertigt, waren jedoch in der Regel einfachere Spielsätze für zu Hause. Eine rein deutsche Spezialität wurden die in Holz gedrechselten Sätze, wie hier gezeigt, sowie die Miniatursätze aus Geislingen und Nürnberg. (2)
Biedermeier
Biedermeier bezeichnet die Epoche zwischen den Napoleonischen Kriegen, und den Revolutionen von 1848 ... Friedenszeit, in der das Wohlleben herrschte, und die Bevölkerung angehalten wurde, sich nicht für Politik und Revolution oder die Ideale der Französischen Revolution zu interessieren. Die Biedermeier-Sätze entstanden wohl in dieser Zeit - zum Teil in Erneuerung der Erzgebirge-Spielsätze, und mit Elementen aus früher üblichen Figurenensembles, etwa einfachen Selenussätzen in Knochen oder Holz. Das Besondere sind jeweils die gegenfärbigen Spitzen auf den Läufern, bei besseren Sätzen auch auf Damen, Königen und Türmen. Nicht jeder Satz aus dieser Zeit ist ein Biedermeier-Satz - solche Spiele wurden wohl in erster Linie in Wien, in München und vermutlich auch im Raume Nürnberg gefertigt. Aber auch anderswo, wo talentierte Drechsler auf Bestellung nach Mustervorlagen für betuchte Käufer einzelne Spitzensätze drechselten....die Standardsätze dürften in diesen Jahren in Österreich wie in Bayern vielen Kaffeehäusern und auch Privatklubs zum Spielen gedient haben....wie man an alten Stichen und Bildern ablesen kann. (3)
Deutsche Bundesform
Die deutsche Bundesform wurde wohl von Ehrhardt Post um 1935 entworfen - damals Bundesgeschäftsführer des Grossdeutschen Schachbundes - und über das Verbandsblatt den Vereinen dringend zur Übernahme anstatt der "ausländischen Figuren" (sprich Stauntons) empfohlen. Dieser Empfehlung kamen die Schachspieler nolens volens wohl scharenweise nach - einerseits, weil man ja abhängig war, auch finanziell, andererseits, weil vermutlich die Manufakturen angewiesen wurden , keine Stauntons, Regence- oder Kaffeehausfiguren zu erzeugen! Bundesform-Figuren wurden zweifellos in Borstendorf, wohl auch in Nürnberg und im Bayrischen Wald bei Stiehler (nachmals Bayerswald) und sicher auch in anderen Drechslereien gefertigt, und zwar in grossen Mengen. Auch nach dem 2. Weltkrieg wurde weiter in Bundesform gemacht - die Figuren sind ungemein robust, leicht zu fertigen, und waren offenbar auch von den Spielern akzeptiert worden. In der DDR wurde die Bundesform bis zum Ende des Volkseigenen Betriebs Grünhainichen in Borstendorf erzeugt, und auch im Westen verkauft - bei westdeutschen Drechslern dürfte es mit der Bundesform früher zu Ende gegangen sein. Offenbar hat man auch im Odenwald noch Bundesform in Horn als Geschenkartikel gedrechselt, wie der unten ausgestellte Satz belegt. (4)
"KNubbel" - Schachfiguren
Diese Sonderform von Schachfiguren gibt es nur in Deutschland - offenbar wurde sie für den Spielzeughandel gefertgt, und zwar in grösseren Serien, weil sie relativ leicht herzustellen und ungemein robust sind. Der Name "Knubbel" - ist so gut wie jeder andere - zweifellos wurden sie über gut 80 Jahre oder länger in einer oder mehreren Spielzeugmanufakturen hergestellt - ob im Erzgebirge oder anderswo, bleibt noch offen. Diese Figuren sind nur auf den ersten Blick bescheiden - der Entwurf ist sehr sinnvoll, es gibt keine Kreuze auf den Königen, die leicht brechen können, die Figuren sind unten ziemlich breit, sodass eine Gewichtung überflüssig ist, und die runde und handfreundliche Form ist für Kinder gut geeignet. (5)
Nürnberger Beinfiguren
In Nürnberg hat die Herstellung von Spielen aller Art, und auch Schachfiguren eine alte Tradition die bis in 15.Jahrhundert zurückreicht. Schachfiguren wurden sicher schon seit dem 15. und 16. Jahrhunderte gedrechselt, wirklich interesant wird es jedoch erst mit dem frühen 19.Jahrhundert , als die Nachfrage nach Schachspielen durch die neu entstandenen Kaffeehäuser und Schachklubs steil anzusteigen begann. Viele Drechsler stellten sich auf das Drechseln von Schachspielen ein, es gab Musterbücher mit Vorlagen, und die jährliche Spielwarenmesse in Leipzig, Spielwarenverleger und -grosshändler mit Niederlagen in den wichtigsten Märkten sorgten für den Absatz. Die Beinspiele waren offenbar sehr beliebt - die Barleycorn-Form kopierte man von englischen Vorbildern, die Selenus-Figuren entwickelte man aus einheimischen Modellen, und die meist kleinen langgestreckten aufrechten Beinsätze sind eine Nürnberger Spezialität. Holzfiguren scheinen sich im Raume Nürnberg erst später entwickelt zu haben - die billigen Holzspiele kamen damals noch aus dem Erzgebirge. (6)
Regence
Regence snd die französischen Schachfiguren par excellence - sicher schon im frühen 18.Jahrhundert vorhanden, wurden sie vor allem in den Cafés und Kneipen verwendet. Der Name stammt von der "Schachkathedrale" Café Regence in Paris, wo Philidor mit diesen Figuren vertraut war, wie seine Zeitgenossen Philip Stamma und der Sire de Legal, und wo ausländische Besucher mit diesen Figuren bekannt und vertraut wurden. Regence wurde von jedem Drechsler leicht hergestellt - die Zentren der Herstellung lagen damals und auch später jedoch in der Franche-Comté, wo im Jura massenweise das harte Buchsbaumholz wächst, und wo die Holzbearbeitung Tradition hatte. Im 19. Jahrhundert beganne auch ausländische Drechsler, Regence -Figuren herzustellen - speziell in Deutschland. Zeitweise waren Regence die wichtigsten Figuren im Spielzeughandel, und wurden in Kompendien, Spieleschachteln und als Mitnahmeartikel bei anderen Spielen in ganz Europa und Übersee verkauft. Heute spielt man nicht mehr so gerne damit, die Figuren sind instabiler als etwa Staunton-Figuren . in Schachclubs früherer Zeiten jedoch durften die Regence-Figuren schon aus Pietät wie Traditionsbewusstsein nicht fehlen. Qualitätsmerkmal bei Regence - abgesehen vom Stil der Springerköpfe - ist das Holz - in Deutschland wurden Unmengen von Regence-Sätzen aus Weichholz produziert. Typisch für Regence ist die nicht vorhandene höhenmässige Abstufung der Figuren vom König abwärts zum Turm - bei Regence ist oft der Springer die grösste Figur, und fast immer höher als der Láufer. Unter Sammlern sind Sätze in Elfenbein oder Horn gefragt, sowie die feinen Sätze mit Dekorationsmerkmalen im Lyon-Stil - der grosse Rest gilt wenig, es gibt einfach zu viele davon....(7)
Selenus- Stil
Der Name geht auf Gustavus Selenus alias Herzog August II. von Braunschweig- Lüneburg zurück - in dessen Werk "Vom Schach- oder Königsspiel" zum ersten Mal in Deutschland Schachfiguren mit runden Absätzen bzw. Körbchen abgebildet waren. Ähnliche Figurn finden sich aber auch in älteren Traktaten aus Italien - offenbar war es in ganz Europa Brauch, die für ds praktische Spiel bestimmten Figuren, vor allem Dame, König und Läufer, mit Balustraden bzw, Körbchen zu unterscheiden, in der Regel zwei bis drei für den König und eins bis zwei für die Dame. Im 18. und 19 Jahrhunderte verstärkte sich diese Tendenz - auch im Erzgebirge begann man, nach Selenusart Holzscheiben auf einem Mittelholm aufeinander zu stecken, es entwickelten sich die Spielzeug-Figuren. Aber auch in Nürnberg, denm Zentrum der Spielwarenwelt dieser Zeit, wurden wurden grosse Mengen an Figuren dieser Art gedrechselt, da sie relativ billig herzustellen waren, und der Rohstoff - Knochen - günstig und leicht aufzutreiben war- das gilt auch für Stbifugren und Trommel-figuren (Barelycorn) wie auch andere Formen (siehe Musterblatt) . Die Unterscheide liegen sowohl in der form der Balustraden oder Körbchen, wie in der Zahl - in der Praxis gibt es kaum Spielfiguren - also nicht zur Schaustellung oder als Kunststück gemachte - Figuren aus dem 18.. Jahrhundert ohne "Körbchen"...und diese Form hielt auch im 19. Jahrhundet an, wie die Musterbücher der Zeit beweisen. Sogar im 20. Jahrhundert wurden in Erbach im Odenwald noch Selenus-Sätze in Elfenbein und Knochen gedrechselt, die alle Formen des Selenus-Stils abwandeln und variieren.... (8)
Spielzeug -Figuren
Spielzeugfiguren wurden im Erzgebirge wohl schon im 18. Jahrhundert gefertigt, als Spielfiguren der simpleren Art, und in den ersten Kaffeehäusern und mit Schachspielen versehenen Wirtsstuben verwendet. Die Musterbücher aus Sonneberg und Waldkirch zeigen jedenfalls, dass diese typischen, aus Einzelteilen zusammengesetzten Figuren von den Spielzeugverlegern und Verkaufsstellen fix im Repertoire geführt wurden. Die Produktion lag wohl im Kerngebiet des Spielzeugmachens, in Seiffen, Grünhainichen und Annaberg - vermutlich jedoch auch in anderen Gegenden im Erzgebirge. Die Technik der Erzeugung lief ähnlich wie bei Pyramiden, Karrussellen und anderen gängigne erzgebirgischen Spielzeugen - in Hiemarbeit von ganzen Familien aus vorgedrechselten Bestandteilen zusammengesetzte Stücke, die dann verleimt wurden. Heute sind Spielzeugsätze gefragt, aber keineswegs selten - seltener sind die grosssen Formen, und Sätze in Obstholz, im Erzgebirge wurde in der Regel mit billigeren Holzsorten wie Buche, Fichte und Ahorn gearbeitet. Heute werden diese Sätze nicht mehr hergestellt...(9)
Staunton - Figuren
Die Staunton Figuren - heute weltweit der Standardsatz im Tunrier- und Klubgeschehen - wurden 1849 von dem Trio Nathaniel Cooke, John Jaques und Howard Staunton konzipiert - wobei der starke Schachspieler Staunton sicher die Hauptrolle gespielt hat. John Jaques übernahm die Herstellung, Staunton als prominenter Schachspieler und Schachberichterstatter der Illustrated London News die Propagierung und Förderung (das marketing), und Cooke die Finanzierung. Im Beginn stand der Versuch, den sensationellen neuen Satz vor Nachahmung zu schützen - die Zeichnungen und Formen wurden patentiert, jeder Satz erhielt ein Ettikett mit der Unterschrift Stauntons, die für Echtheit garantieren solte, zus. wurden die Könige mit dem Schriftzug Jaques abgestempelt. Die neuen Figuren fanden allgemein rasch eine überwältigend schnelle Aufnahme, sowohl in den einfachern Versionen wie in Elfenbein geschnitzt und gedrechselt - doch die Nachahmer bleiben trotz allem nicht aus. Jaques wurde in zahlreiche Prozesse verwickelt, um Kopien auzuschalten, dennoch wuden Staunton-Figuren durch das ganze 19. Jahrhundert immer wieder nachgeahmt, sodass man schliesslich auf die Verlängerung des Patents verzichtete. Jaques-Figuren kann man nach den Formen der Springer zeitlich ziemlich genau einordnen - der Amerikaner Frank Camaratta hat eine chronologische Klassifizierung der Staunton-Figuren erstellt, die heute allgemein akzeptiert wird. Bis gegen Ende des Jahrhunderts verkaufte Jaques beträchtliche Mengen dieser Schachfiguren, trotz boomender Produktion bei anderen Spielen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts liess jedoch die Qualität merklich nach, ernstzunehmende Konkurrenten entstanden sowohl im Inland (Ayres, Whitty, BCC) wie auf dem Kontinent (Borstendorf, die Franzosen), und Jaques konzentrierte sich zunehmend auf gewinnbringendere Produkte wie Crocket, Tiddly Winks und Ping-Pong. Bis 1930 wurden bei Jaques noch Figuren im Hause erzeugt, mit 1930 endete jedoch diese Produktion, und wurde durch zugekaufte Figuren ersetzt. Durch das Bombardement während des Blitzkriegs wurde die Zentrale von Jaques zerstört, seither gibt es nur mehr eine Produktion nach Entwürfen in Indien, die nach wie vor bei Jaques im Programm stehen. Doch Staunton-Figuren - erzeugt heute die ganze Welt....bei Sammlern sind vor allem die alten Elfenbein-Sätze gefragt, sowie Holzsätze bis etwa 1900..Es gibt auch Schachfigurensammler, die sich allein auf Erzeugnisse der Firma Jaques konzentrieren...(10)
St.George - Figuren
Die St. George-Figuren erhielten ihren Namen vom 1843 gegründeten St. George-Klub in der gleichnamigen Strasse in Zentrallondon, der diese Figuren zum Klubsatz wählte. Zweifellos sind derartige Figurensätze damals schon bekannt und im Gebrauch gewesen. In der Folge wurden St. George-Sätze nicht nur vom führenden Hersteller Jaques, sondern auch von anderen Schachfigurendrechslern gemacht, wie Lund, Fisher, Hastilow, Calvert, Ayres usw., zum Teil in ausgefallenen und opulenten Versionen in Elfenbein und aus gemischten Materialien. St.George-Sätze wurden auch in sehr billigen Variationen für den Spielzeugmarkt gemacht - auch von Jaques. Interessanterweise wurden - vielleicht durch wandernde Handwerksburschen vermittelt - ab der Mitte des 19.Jahrhunderts auch in Deutschland St. George-Sätze erzeugt . allerdings nicht in Hartholz wie in England, sondern meist in weichen Hölzern, und mit bescheidenerem Auftreten - diese deutschen St.George-Sätze dienten vor allem als Spielzeugsätze, grossformatige Figuren dieser Art sind selten. Bei St. George gibt es auch Varianten, wie die "Trompeten"spitzenform - das sich auf die konische Spitze bei Königen bezieht - die Urnenform - dies ist die tradtionelle Form - und einfach mit Kugel und Spitze, vor allem bei den kleine Sätzen. 11)
Nachweise
1) siehe dazu http://www.chess-museum.com/old-vienna--coffeehouse.html
sowie Thomas Thomsen, The chessmen used in the Vienna Coffee Houses, Programmheft zum 8. Kongress in Wien 1998, Chess Collectors International, S. 21 ff
2) zu Barleycorn siehe etwa die Siete von Kristjan Sander - http://anonymouschesscollector.blogspot.pt/
3) siehe Thomsen, a.a.O., sowie http://www.chess-museum.com/biedermeier-chess-men.html
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8) siehe dazu Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesform
sowie Thomas Thomsen, The chessmen used in the Vienna Coffee Houses, Programmheft zum 8. Kongress in Wien 1998, Chess Collectors International, S. 21 ff
2) zu Barleycorn siehe etwa die Siete von Kristjan Sander - http://anonymouschesscollector.blogspot.pt/
3) siehe Thomsen, a.a.O., sowie http://www.chess-museum.com/biedermeier-chess-men.html
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8) siehe dazu Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesform